Diagnose des PCOS
Ein wesentlicher Teil der Diagnose ist die ausführliche Anamneseerhebung. Vom Arzt zu hinterfragen sind:
– Androgenisierungserscheinungen
– Progredienz
– Akanthosis nigricans
– Familiäre Belastung (leiden Mutter, Tanten oder Schwester an Haarausfall, haben Vater oder Brüder eine Glatze)
– Gewichtsschwankungen
– Zyklusstörungen
– Kinderwunsch
– Fehlgeburten
– Komplikationen in den vorangegangenen Schwangerschaften
– Diabetes bzw. Gestationsdiabetes in der Eigen- und in der Familienanamnese
– Hypertonie
– Medikamenteneinnahme
– Müdigkeit
– Depressive Verstimmungen
Unter Virilisierung versteht man die Vertiefung der Stimme, die Klitorishypertrophie und die Entwicklung eines männlichen Habitus. Diese Erscheinungen sind eher ein Hinweis auf eine andere Form der Hyperandrogenämie (z.B. Androgenbildende Tumoren oder Adrenogenitales Syndrom) und sind in der Regel irreversibel. Insbesondere die rasche Progredienz der Androgenisierungserscheinungen bzw. Virilisierungserscheinungen können ein Hinweis auf einen androgebildenden Tumor sein.
Typisch ist eine familiäre Häufung der Androgenisierungserscheinungen, die auf eine genetische Ursache hinweist. Bei der Entstehung des PCOS wird oft eine genetische Grundlage vermutet, allerdings wäre die Heterogenität des Syndroms kaum durch ein einziges Gen erfassbar.
Manche Frauen entwickeln aufgrund genetisch bedingter Unterschiede in der Sensitivität der peripheren Gewebe nie die typischen Androgenisierungserscheinungen, während manche Patientinnen, trotz Hirsutismus, fast normale Androgenwerte im Serum aufweisen. Bei der typischen kutanen Hyperandrogenämie andererseits können sogar alle anderen Symptome fehlen und der Menstruationszyklus sowie die Fertilität unbeeinflusst bleiben.
Eine Schlüsselrolle bei der Entstehung der Alopezie und des Hirsutismus spielt die Aktivität des Enzyms 5-α-Reduktase in den Haarfollikeln, das das Testosteron in die aktive Form, das 5-α-Dihydrotestosteron, umwandelt. Bei einer erhöhten Aktivität dieses Enzyms können die Symptome trotz nur grenzwertig erhöhter Testosteronwerte stark ausgeprägt sein.
Wichtige Rolle für die unterschiedlichen Ausprägungsvarianten des PCO-Syndroms spielen auch die Umweltfaktoren.
Polyzystische Ovarien- Zyklusstörungen
Die polyzystischen Ovarien sind durch eine Hyperrekrutierung der Follikel mit einer Störung der Selektion und Weiterentwicklung eines dominanten Follikels charakterisiert. Klinische Folgen sind, neben den anovulatorischen Zyklen mit einer azyklischen Östrogensekretion und zum Teil konsekutiver LH-Erhöhung, eine primäre bzw. sekundäre Oligo- oder Amenorrhö. Die Zyklusstörungen stellen meistens ein pathophysiologisches Kontinuum dar. Selten sieht man bei den PCOS Patientinnen eine echte primäre Amenorrhoe. Viel mehr kommt es bei den Patientinnen nach zunächst normalen Zyklen zu anovulatorische Zyklen, Corpus luteum Insuffizienz, Oligo und schließlich zu einer sekundären Amenorrhoe. PCOS-Patientinnen bilden, aufgrund der Anovulationen, einen großen Anteil der Patientinnen in reproduktionsmedizinischen Zentren.
Bei adipösen Patientinnen werden die Androgene in der Peripherie verstärkt und kontinuierlich in Östrogene aromatisiert, was zu einer Hyperöstrogenämie führt. Aufgrund der fehlenden Ovulationen bleibt die sekretorische Umwandlung des Endometriums aus; diese Patientinnen haben deshalb oft starke Durchbruchblutungen und ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines Endometriumkarzinoms. Außerdem können die starken Blutverluste auch zu einer Eisenmangelanämie führen.
Eine Hashimoto Thyreoiditis kommt bei PCOS-Patientinnen überdurchschnittlich oft vor, was auf eine mögliche gemeinsame Autoimmungenese hinweist. Autoimmunfaktoren stehen ebenfalls im Zusammenhang mit einem Abortgeschehen.
Diagnostik der Insulinresistenz
Der Goldstandard für die Diagnostik der Insulinresistenz ist nach wie vor das hyperinsulinämisch-euglykämischen Clampverfahren. Diese Methode ist allerdings für die Alltagspraxis zu aufwändig und deshalb nicht als Standardmaßnahme einsetzbar. Einfach und überall durchführbar sind dagegen die Nüchternkontrollen der Insulinwerte. Mittels u. g. Formeln (HOMA Index - Homeostasis Model Assessment Index) kann dann relativ einfach eine Insulinresistenz festgestellt werden.
Methoden für die Erfassung der Insulinresistenz in der Alltagspraxis
○ HOMA-Index = In (μU/ml) × Gn (mg/dl)/405
Normwert < 2
○ G (mg/dl)/I (μU/ml) basal
Diagnose des Gestationsdiabetes
Möglich ist entweder ein einzeitiges Vorgehen mit 75g oGTT 24-28 SSW oder ein zweizeitiges Vorgehen mit 50 g oGTT als Screening-Test und, beim pathologischen Ergebnissen, eine Komplettierung durch 75g oGTT.
Beim Vorliegen der Risikofaktoren sollte bereits im I Trimenon eine Kontrolle durchgeführt werden. Diese wären:
- Übergewicht (BMI vor der Schwangerschaft ≥ 27 kg/m²)
- Diabetes bei Eltern/Geschwistern
- Gestationsdiabetes in einer vorangehenden Schwangerschaften
- Z. n. Geburt eines Kindes ≥ 4000g bzw. 4500g
- Z. n. Totgeburt
- Schwere kongenitale Fehlbildungen in einer vorangehenden Schwangerschaft
- Habituelle Abortneigung (≥ 3 Fehlgeburten hintereinander)
Bei unauffälligen Ergebnissen in diesem Kollektiv soll eine Kontrolle zwischen der 24.-28. SSW und dann zuletzt zwischen der 32.-34. SSW erfolgen.
Aufgrund des oben genannten stellt jede Schwangerschaft bei den PCOS Patientinnen eine Risikoschwangerschaft dar, das gilt sowohl für die Mutter als auch für das Kind. Gehäuft finden sich: Aborte, Gestationsdiabetes, Schwangerschaftshypertonie, Präeklampsie und Eklampsie und es kommt häufiger zu Problemen bei der Entbindung (Schulterdystokie etc.). Diese Patientinnen erfordern deshalb eine besondere Überwachung auch in der Schwangerschaft.
Müdigkeit und Depressionen
Viele PCOS-Patientinnen berichten über Müdigkeit und über depressive Verstimmungen. Diese Problematik sollte auch gezielt vom Arzt angesprochen werden. Häufig sind die Ursachen eine Autoimmunthyreoiditis mit Hypothyreose, eine Eisenmangelanämie oder das Schlafapnoe Syndrom. Sie alle erfordern eine adäquate Behandlung.
Depressive Verstimmungen können durch ein beeinträchtigtes Selbstwertgefühl als folge von kosmetischen Problemen sowie Adipositas, oder durch die Sorgen bezüglich der Zukunft mit der Erkrankung bedingt sein. Oft sind diese Stimmungslagen eine große „Bremse“ und hindern die Patientinnen in ihren Bestrebungen, ihren Lebensstil endgültig zu ändern.
Androgenisierungserscheinungen
Die Androgenisierungserscheinungen sind individuell verschieden und kommen bei jeder Patientin in unterschiedlichem Ausmaß vor. Manche Patientinnen kämpfen dabei mit starken kosmetischen Problemen. Zu den Androgenisierungserscheinungen gehören: Seborrhoe mit Akne, Hirsutismus und ein androgenetischer Haarasufall (Effluvium), der eine androgenetische Alopezie (Glatze) als Endergebnis haben kann. In Gegensatz zur Virilisierung sind die Androgenisierungserscheinungen unter einer adäquaten Therapie meistens reversibel.
Seborrhoe und Akne beginnen meist bereits in der Pubertät, halten allerdings länger an und sind auch viel hartnäckiger als die „normale“ Akne bei Teenagern.
Der Hirsutismus (verstärkte Körperbehaarung) beginnt sich meistens erst etwas später als die Akne zu entwickeln. Typische Prädilektionsstellen sind: Haarstraße vom Genitalbereich zum Nabel, Oberlippe, Perimamillärbereich, Kinn, Oberschenkel-innenseite, Prästernalbereich, Rücken (LWS-Bereich), Gesäß und Schultern. Eine Evaluation erfolgt standardisiert mittels des Ferriman-Gallwey Scores.
Der Haarausfall bei der Frau tritt meistens eine Dekade später auf als beim Mann, meistens erst nach dem dreißigsten Lebensjahr. Die androgenetische Alopezie wird nach Ludwig in 2 Typen eingeteilt. Der „weibliche Typ“ der androgenetischen Alopezie, der hauptsächlich die Parietalregion mit einer Aussparung der Stirnhaargrenze betrifft, ist mit über 90% der Fälle bei der Frau wesentlich häufiger zu sehen. Der „männliche Typ“, der sowohl durch den Ausfall der Parietal- als auch der Stirnhaare („Geheimratsecken“) charakterisiert ist, kommt bei Frauen mit 5-10% wesentlich seltener vor.
Übergewicht mit einem erhöhten Body-Mass-Index (BMI >25kg/m²) und einem Taille-Hüfte-Quotient > 0,85 weisen 16-80% der PCOS-Patientinnen auf. Die viszerale Adipositas gilt als einer der wichtigsten Risikofaktoren in der Entstehung von Atherosklerose, Myokardinfarkt oder Typ-2-Diabetes mellitus im jüngeren Alter. Ein Übergang von PCOS zum metabolischen Syndrom oder Syndrom X ist deshalb fließend.
Body mass index = [Gewicht/ (Größe im Meter)²]
18-24,9 kg/m² – normal
25-29,9 kg/m² – Übergewicht
30-34,9 kg/m² – Adipositas I°
35-39,9 kg/m² – Adipositas II°
>= 40 kg/m² – Adipositas III°= Adipositas per magna
Eine Akanthosis nigricans stellt sich als eine Hautveränderung mit Hyperpigmentierung und Hyperkeratose dar. Prädilektionsstellen sind Nacken, Axillae und Mammae. Typisch ist ihre Assoziation mit Hyperandrogenämie, Hyperinsulinämie und Adipositas. Oft gibt sie einen Hinweis auf ein Adenokarzinom im Gastrointestinaltrakt
Oft wurde über eine erhöhte Rate (30-50%) von Aborten bei PCOS Patientinnen nach einer spontanen oder assistierten Konzeption berichtet, sodass Abortrate, im Vergleich zum Kollektiv gesunder Frauen, um das 3fache erhöht zu sein scheint. Weiterhin konnte PCOS bei 40-80% der Frauen mit habituellen Aborten diagnostiziert werden. Der erhöhte LH-FSH-Quotient, Adipositas oder auch Hyperinsulinämie scheinen dafür verantwortlich zu sein.
PCOS Patientinnen scheinen ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines Diabetes Mellitus Typ II in einem früheren Alter (3. und 4. Lebensdekade) als die Durchschnittspopulation (6. und 7. Lebensdekade) zu haben.
Inzwischen ist es bekannt, dass etwa 50%-80% der PCOS-Patientinnen unabhängig vom Körpergewicht, eine reduzierte Insulinsensitivität und Hyperinsulinämie aufweisen, wobei eine Adipositas oft zu einer stärkeren Ausprägung der Insulinresistenz führt. Der genaue pathophysiologische Zusammenhang zwischen Hyperinsulinämie und Hyperandrogenämie ist noch weitgehend unklar, allerdings scheint ein Insulineinfluss auf die Androgensekretion und den Metabolismus wahrscheinlicher als vice versa. Neben einer direkten Wirkung auf die Androgensynthese im Ovar, im Sinne eines verstärkten Ansprechens auf LH, führt eine Hyperinsulinämie zu einem Abfall des SHBG und konsekutiv zu einem Anstieg des freien (wirksamen) Testosterons. Allerdings kann eine Insulinresistenz nicht als einzige Ursache für die Entstehung des PCOS gesehen werden, viel mehr trägt sie, als eine der vielen Faktoren, zu einer Verstärkung der Hyperandrogenämie bei (Hadžiomerović-Pekić D. et al).
Bei übergewichtigen PCOS-Patientinnen liegt in etwa 31,1 % der Fälle eine gestörte Glukosetoleranz (Impaired glucose tolerance = IGT) vor. 7,5 % haben bereits bei ihrer Erstvorstellung in unseren Ordinationen die WHO Kriterien für DM Typ II erfüllt. Bei normalgewichtigen PCOS Patientinnen zeigt sich auch eine erhöhte IGT Prävalenz von 10,3% und DM Typ II Prävalenz von 1,5% (Legro RS 1999).
In Österreich leiden ca. 600.000 Menschen an Diabetes mellitus Typ II. PCOS Frauen sind eine große Risikogruppe und erfordern deshalb ein rechtzeitiges Screening!
PCOS Patientinnen scheinen auch ein erhöhtes Risiko für Gestationsdiabetes zu haben. Das Risiko ist PCOS gebunden, bzw. auch bei den schlanken Frauen mit PCOS erhöht, steigt allerdings zusätzlich bei Adipositas. Daran sollte bereits vor der Schwangerschaft und im ersten Trimenon der Schwangerschaft gedacht und gezielt gescreent werden.
Diagnose des Diabetes mellitus
Es gab in den letzten Jahrzehnten verschiedene Vorschläge zur Diagnose des Diabetes mellitus. Die im Folgenden dargestellten Empfehlungen beruhen auf den Vorschlägen der ADA (American Diabetes Association), der WHO und der IDF (Internationale Diabetes Federation) [ADA 2000, EK IV; Alberti et al. 1998b EK IV; EDPG 1999, EK IV Härtegrad A] und deren Überarbeitung [ADA 2004 EK IV]:
1. Venöse Gelegenheits-Plasmaglukose
≥ 200 mg/dl (11,1 mmol/l) = Diabetes mellitus diagnostiziert
≥ 100 mg/dl (5,6 mmol/l) – Weitere Diagnostik nach Schritt 2
2. Nüchternglukose im venösen Plasma (nach Fastenperiode von mindestens 8 Stunden)
≥ 126 mg/dl (7mmol/l) Wiederholung, bei Bestätigung = DM diagnostiziert
100-125 mg/dl (5,6-6,9 mmol/l) = IFG impaired fasting glucose – oGTT angezeigt
90-99 mg/dl (5,0-5,5 mmol/l) – Kontrolle der Risikofaktoren
3. 75g oraler Glukose Toleranz Test (75g oGTT)
Wert 2 Stunden nach der oralen Einnahme von 75g Glucose-Äquivalent
≥ 200 mg/dl (11,1 mmol/l) = DM ist diagnostiziert
140-200 mg/dl (7,8 – 11,1 mmol/l) = IGT (impaired glucose tolerance)
Der 75g oraler Glukose Toleranz Test (75g oGTT) bleibt ein Standardverfahren in der Diabetesdiagnostik und soll bei jedem Verdacht durchgeführt werden. Die AE-PCOS Society (Androgen Excess & Polycystic Ovary Syndrome Society) empfiehlt einen oGTT bei allen übergewichtigen PCOS Patientinnen. Bei einem unauffälligen Ergebnis sind Kontrollen alle 2 Jahre angezeigt, sonst sind jährliche Kontrollen unter Therapie sinnvoll.
Oft haben die PCOS Patientinnen auch eine arterielle Hypertonie und eine Dyslipidämie. Diese sind teilweise durch eine höhere Prävalenz an Übergewicht in diesem Kollektiv zu erklären. Dyslipidämie scheint aber bei PCOS Frauen auch unabhängig von Adipositas aufzutreten. Allerdings ist eine Kombination mit Adipositas und Diabetes mellitus für die Blutgefäße viel verheerender. Die Übergänge vom PCOS zum Metabolischen Syndrom sind fliesend. Es sollte deshalb gezielt danach gefragt werden. Falls noch nie eine Untersuchung diesbezüglich durchgeführt wurde, sind die weiter unten genannten diagnostischen Schritte dringend angeraten. Die Verwandten ersten Grades von PCOS Patientinnen scheinen auch ein erhöhtes Risiko für die metabolische Erkrankungen zu haben und sollten in der Zukunft ggf. auch gescreent werden.
Das Metabolische Syndrom wird nach dem „Konsensus der International Diabetes Federation“ aus dem 2005 durch folgende Kriterien definiert (Alberti KG et al Lancet 2005).
Androide Adipositas – Taillenumfang ≥ 80 cm Frauen; ≥ 94 cm Männer
plus 2 der folgenden Befunde:
Triglyzeride > 150 mg/dl (> 1,7 mmol/l) o. Therapie
HDL-Cholesterin ↓: < 50 mg/dl Frau (1,29 mmol/l), < 40 mg/dl Mann (1,04 mmol/l) oder Therapie
Hypertonus (sys. > 130 mmHg, diast > 85 mmHg) o. Therapie
Plasmaglukose nüchtern > 100 mg/dl (5,6 mmol/l) bzw. Typ II DM
– bei Werten > 100 mg/dl ist oGTT empfohlen
Zur Standardanamnese sollte bei allen Patientinnen mit V.a. PCOS auch die Frage nach einer Einname von Medikamenten mit androgener Nebenwirkung (z.B. Anabolika) gehören. Diese können zu PCOS ähnlichen Symptomen führen. Eine ganze Reihe von weiteren Medikamenten wie z.B. Danazol, Antiepileptika (insbesondere Valproinsäure), Streptomycin, Phenothiazine, Diazoxid, Psoralens etc. kann auch zur Androgenisierungserscheinungen führen.